Alexander Roob]
[November 2, 2010
Auch ich in Verdun # 1. Zu den Ansichten und Zeichnungen des Kriegsreisenden Goethe.
I) Der Feldzug gegen den neuen Irrsinn
Mitte August des Jahres 1792 drang ein großes Koalitionsheer aus preußischen und österreichischen Kontingenten auf französisches Territorium vor und leitete damit eine dreiundzwanzigjährige Folge von Kriegshandlungen ein, die erst mit der Niederlage Napoleons bei Waterloo ein vorläufiges Ende fand und die, obgleich sich der Versuch einer kosmetischen Wiederherstellung der alten Ordnung daran anschloss, das Gesicht Europas doch komplett verändert hat.
Vorausgegangen war im Jahr zuvor eine formelle Aufforderung der beiden führenden Monarchen des Heiligen Römischen Reichs deutscher Nation1 zur Wiederherstellung der absolutistischen Ordnung in Frankreich, die so genannte Pillnitzer Deklaration, die vom revolutionären Frankreich mit einer Kriegserklärung an die habsburgische Adresse und einem gescheiterten Feldzug auf das Gebiet der zum Reich gehörenden österreichischen Niederlande im heutigen Belgien beantwortet worden war.
Die Koalierten rechneten mit einer schnellen Kapitulation der noch weitgehend royalistisch orientierten französischen Nationalgarde und waren von der Überlegenheit ihrer stehenden Heere über aufständische Irreguläre überzeugt. In der Hoffnung, die Revolutionäre damit einschüchtern und demoralisieren zu können, hatte der Oberbefehlshaber der koalierten Truppen, der Herzog von Braunschweig, von seinem Koblenzer Quartier aus eine markige Proklamation an das französische Volk adressiert , in der er für den Fall eines bewaffneten Widerstandes sowie für den Fall, dass der inhaftierten königlichen Familie ein Leid geschehe, mit der vollständigen Vernichtung der Hauptstadt Paris gedroht hatte. Dieses so genannte „Manifest des Braunschweigers“ ist nicht nur als Dokument einer kolossalen Fehleinschätzung in die Geschichte eingegangen, es hat auch zusammen mit der Androhung der Invasion eine Dynamik erzeugt, die das Ende der moderaten, so genannten girondistischen Periode der Revolution einläutete, die sich zwar auf eine Entmachtung des Königs, aber noch nicht auf dessen Abschaffung geeinigt hatte.
Die schnelle Übergabe der Festung Longwy, die direkt an der Grenze zum österreichisch -luxemburgischen Aufmarschgebiet der Koalierten lag, schien den erwartungsfrohen Spekulationen über ein schnelles Ende des Feldzuges Recht zu geben: Schon eine Woche später lag ein Großteil der preußischen Heere vor der strategisch bedeutsamen Festung Verdun, deren Einnahme den freien Zugang zu einer der Hauptadern nach Paris versprach. Der Verlust der ehemaligen Reichsstadt Verdun, die im Ausgang des Dreißigjährigen Krieges zusammen mit den beiden anderen, von der Diözese Trier aus betreuten Bistümern Toul und Metz sowie den habsburgischen Besitztümern im Elsass an die französische Krone übergegangen war, war den Regenten des alten Reichs ein tief sitzender Stachel im Fleisch, und es darf vermutet werden, dass der Frankreichfeldzug auch mit Ambitionen einer territorialen Rückgewinnung verbunden war.
Gabriel Bodenehr, Verdun, 1720, Kupferstich (aus : Des Curiosen Staats und Kriegs Theatri am Rhein andere Theil, oder der Untere Rhein) (MePri).
Auf dem Weg dorthin hatte sich ihnen mit einiger Verspätung der Geheimrat von Goethe samt Diener und einem als Schlafwagen ausgebauten Gefährt angeschlossen. Er war damit dem Ruf seines Dienstherrn Carl August, Herzog von Sachsen-Weimar gefolgt, der als begeisterter Militär in preußischen Diensten selbst ein Regiment der konterrevolutionären Unternehmung befehligte.
Es sind Zeugnisse von Militärs überliefert, die sich nicht nur über die Tatsache der Begleitung, sondern vor allem auch über die Aufmachung des Dichters wunderten, der sich ganz und gar nicht bohemienhaft gerierte, sondern eher wie ein Staatsmann. Sie verkannten dabei, dass der durch sein Frühwerk „Werther“ mit internationaler Bekanntheit versehene Autor in dem Herzogtum Weimar keineswegs nur als Schöngeist und kulturelles Aushängeschild fungierte. Der studierte Jurist war kurz nach seinem Ruf an den Hof seines herzoglichen Freundes zum höchstbezahlten Beamten und zum zweitwichtigsten politischen Entscheidungsträger des absolutistisch regierten Kleinstaates aufgestiegen.
Dass er dabei neben einer Vielzahl anderer Ämter auch den Vorsitz der Kriegskommission inne¬- hatte, war alles andere als ein „Treppenwitz der Geschichte“, wie es der Autor einer Publikation über „Goethe als Pazifist“ nahelegen will.2 Man wird Goethe zwar schwerlich als Militaristen deklarieren können – jede Form von Fanatismus, insofern er ihn bei anderen ausmachen konnte, war ihm suspekt, und seinem ökonomischen Pragmatismus konnte der unverhältnismäßig hohe Rüstungsetat seines Kleinstaats auch nur ein Dorn im Auge sein –, um jedoch einen Dichter, der nicht Shakespeare oder Klopstock, sondern Eroberungskrieger wie Friedrich den Großen und Napoleon I. zu seinen eigentlichen Idolen zählte, und der in seinen Memoiren mit seinem tollkühnen Heldenmut an vorderster Front prahlte, als Pazifisten auszuweisen, bedarf es schon einer arg elastischen Auffassung darüber, was Pazifismus bedeuten könnte. Goethe war, so lautet das Fazit des Verfassers über „den pazifistischen Dichter“, überhaupt kein Befürworter von Krieg, es sei denn, es galt sich eines Aufstandes gegen feudale Ordnungsstrukturen zu erwehren, und dabei war ihm jede Art der Reaktion recht, selbst ein Krieg.
Während des Feldzuges war der Dichter eifrig mit Kartenstudien und der Einholung von Informationen über die vom Heeresstab geplanten Aktionen beschäftigt. Sein Interesse an den Strukturen von Schlachtverläufen und an strategischem Denken war ausgeprägt und hat ihn sein Leben lang nicht verlassen.3 Dass er dem Generalstab gegenüber mit seinen Auffassungen über Erfolg versprechende Strategien hinterm Berg gehalten hat, darf bezweifelt werden. Möglicherweise ist es darüber zu einem Eklat mit dem Oberbefehlshaber gekommen, über den Goethe in einem Akt außergewöhnlich abrupter Gefühlsoffenbarung schreibt, dieser habe ihn „eigentlich niemals geliebt“.4
Mit unterschwelliger Kritik an der Planlosigkeit des Feldzuges spart Goethe in der Niederschrift seiner Erinnerungen an den Frankreichfeldzug nicht. Sie waren 1822 zuerst als Teil seiner autobiographischen Schriften erschienen. In der wenige Jahre später, 1829 publizierten „Vollständigen Ausgabe letzter Hand“ wurden sie jedoch bereits als eigenständiges Werk unter dem Titel „Campagne in Frankreich 1792“ ausgewiesen.
Normalerweise verbot sich für Goethe die öffentliche Infragestellung von Entscheidungen höher gestellter Persönlichkeiten. Der freimütige Feldzugsbericht wurde allerdings fast dreißig Jahre nach den Ereignissen abgefasst, zu einer Zeit, als der Herzog von Braunschweig längst an den Folgen einer Verletzung verstorben war, die er sich in der Schlacht von Jena zugezogen hatte. Für die katastrophale Niederlage, die das preußische Militär dabei durch die napoleonischen Truppen erlitten hatte, war er ebenfalls mit verantwortlich gewesen, und Kritik an seiner Führung war danach opportun. Sie führte mit zu einer umfassenden preußischen Militärreform und einer neuen Wehrhaftigkeit nach französischem Vorbild, für die die preußische Armee bald berüchtigt werden sollte.
Die Frage, was Goethe wirklich zu einer Teilnahme am Frankreichfeldzug und weiteren konterrevolutionären Unternehmungen bewogen hat und was er dort tatsächlich getrieben hat, hat seine zeitgenössischen Kritiker, ganz im Gegensatz zu den späteren, beschäftigt. Dass Goethes eigenen Ausführungen, die er aus den verschiedenartigsten Sekundärmaterialien kompiliert hat, in den wesentlichen Punkten, die ihn selbst betrafen, nicht zu trauen ist, stellte sich früh heraus. Das eigene Tagebuch hatte er, der ansonsten so eifrig bemüht war, der Nachwelt Zeugnisse einer jeden Lebensstunde zu überliefern, auf dem Rückweg nach Weimar vernichtet, wohl auch, um damit Aufzeichnungen brisanten Inhalts aus dem Weg zu schaffen.
Ludwig Börne, der scharfsinnigste deutschsprachige Literaturkritiker seiner Zeit – er war der einzige, der früh die politischen Auswirkungen von Goethes egomanischem Vorbild auf den Ablauf deutscher Geschichte begriffen hatte5 – sah sich ob der spärlichen Informationen, die Goethe zu den wesentlichen Punkten der militärischen Unternehmung machte, zu der Vermutung veranlasst, er sei wohl selbst im Koblenzer Hauptquartier an der Abfassung des Manifestes wider das französische Volk beteiligt gewesen.6
Warum die verspätete Anreise des ansonsten peinlich Pünktlichen, mit welcher der Feldzugsbericht beginnt? Die offizielle Lesart war, dass er mit der Einrichtung seines ihm erst kürzlich von seinem herzoglichen Freund geschenkten Hauses am Weimarer Frauenplan beschäftigt war. Immerhin hatte er bei der eiligen Anreise noch genügend Zeit gefunden, einen auf zwei Tage ausgedehnten Zwischenstopp in Mainz einzulegen, um, wie er schreibt, bei „früheren Bekannten, Studiengenossen“ aus seiner Frankfurter Jugendzeit „zwei muntere Abende“ zu verbringen.
Der eigentliche Grund für Goethes Anwesenheit beim Frankreichfeldzug lag sicherlich in der Doppelfunktion – höfischer Poet und erfahrener Realpolitiker – die er ausfüllte. Für eine Ausschmückung des erwarteten Triumphs in Paris hätte die monarchistische Allianz kaum einen geeigneteren Chronisten finden können als diesen phobischen Revolutionsfeind, der sich auch noch Jahre nach dem Scheitern des konterrevolutionären Feldzugs veranlasst sah, sein poetisches Potential durch die Abfassung einer Reihe peinlicher Tendenzstücke in den Dienst der antirepublikanischen Propaganda zu stellen, mit der die Kleinstaaten des alten Reichs dann überzogen wurden.7
An sich hätte die Einnahme der Festung Verdun, die nach einem kurzen, für die eingeschlossene Stadtbevölkerung aber verheerenden Bombardement gelang, zu ungebrochenem Optimismus auf Seiten der Alliierten Anlass geben können, wären da nicht zwei eher periphere Ereignisse gewesen, die Goethe auch nach der langen Zeit, die zwischen den Ereignissen und ihrer Abfassung lag, noch der Erwähnung wertfand. Es war dies zum einen die Tat des Stadtkommandanten, der sich nach der Einwilligung zur Übergabe vor dem versammelten Stadtparlament erschoss, sowie die Attacke eines einfachen Soldaten, der in einem selbstmörderischen Akt auf die einziehenden preußischen Truppen feuerte, ehe er sich selbst die Kugel gab. Diese beiden suizidalen Akte waren insofern bemerkenswert, als hier zum ersten Mal für die monarchistische Seite eine Konfrontation mit einem Selbstopferungswillen stattfand – von Goethe als heroischer „ republikanischer Charakterzug“ bewundert – , der sich aus der Identifikation mit einem abstrakten Gemeinschaftswesen namens Nation speiste. Dem stehenden Heer der alten Ordnung, das aus Kriegshandwerkern bestand, die oft unter kaum nachvollziehbaren dynastischen Streitereien ins Feld ziehen mussten, war diese Art von Fanatismus unbekannt, und so standen sich hier zum ersten Mal zwei Parteien gegenüber, die sich gegenseitig als „ Patrioten“ und „ Despotensklaven“ diffamierten.8
War die Einnahme Verduns aus der Perspektive von Beobachtern der monarchistischen Allianz mit etlichen Zeugnissen von bedingungsloser revolutionärer Selbstaufopferung verbunden, so besagten die Gerüchte, die sich wie ein Lauffeuer nach Paris verbreiteten, genau das Gegenteil: Kollaboration mit den Feinden habe zur Aufgabe der Festung geführt. Schon das Eindringen der ausländischen Armeeverbände hatte die gemäßigten Flügel der Revolution geschwächt, doch nun war, mit der Einnahme Verduns in Verbund mit der Einschüchterung einer in die Enge getriebenen Bevölkerung, durch das Manifest der Koalierten eine unkontrollierbare Dynamik entstanden, die zu der blutrünstigen jakobinischen Diktatur führte, als die die so genannte „heroische Phase“ der französischen Revolution in die Annalen der Geschichte eingegangen ist.9 Man kann mit gutem Recht, wie es Eric Hobsbawm in seiner Analyse der Ereignisse getan hat, in dem konterrevolutionären Feldzug der Alliierten den wesentlichen Katalysator für die Radikalisierung der Revolution sehen. Als Reaktion auf die Bedrohung von außen reagierte sie mit einer Reihe von verzweifelten Maßnahmen, die er als die „Erfindung des totalen Kriegs der Moderne“ bezeichnete, mit Phänomenen wie „totale Mobilisierung“, „allgemeine Wehrpflicht“, „Einführung von Rationierung und staatlicher Wirtschaftskontrolle“ und „Aufhebung des Unterschieds zwischen Soldaten und Zivilisten daheim und außerhalb des Landes.“10
Die Einnahme von Verdun markiert den entscheidenden Wendepunkt im Ablauf der revolutionären Ereignisse: In Paris führte das Gerücht von der widerstandslosen Übergabe der Festung an den Feind zu einer panischen Entfesslung von Gewalt, den sogenannten Septembermorden, bei denen royalistische und klerikale Gefangene in den Pariser Gefängnissen in Massen gelyncht wurden. Von der extremen Spannung und dem konkreten Schrecken, der mit der Belagerung und der Bombardierung der lothringischen Festung verbunden war, teilt sich in der Zeichnung, die Goethe davon anfertigt hat, nichts mit. Im Gegenteil. Eine provozierende Ruhe und Gelassenheit liegt über der Landschaft, die ihm als „sehr angenehm“ erinnerlich ist: „[…], sehr angenehm von Wiesen, Gärten umgeben, in einer heitern Fläche, von der Maas in mehreren Ästen durchströmt, zwischen näheren und ferneren Hügeln; […].“11 Dabei ist die Verdun-Zeichnung die einzige von den neunzehn überlieferten Arbeiten, die er während der Frankreichkampagne von 1792 zeichnete, die sich direkt auf eine Kriegshandlung bezieht. Diese wird jedoch nur durch die symbolhafte Figur des Soldaten mit geschultertem Gewehr im Vordergrund ganz vage angedeutet. Die Haltung, die er einnimmt, gibt allerdings beredten Aufschluss über das Selbstverständnis, mit dem die aristokratischen Aggressoren in das sich im Aufruhr befindende Land einfielen. In der Pose des Schäfers bewacht und beschützt er die Stadt.
J.W .v. Goethe, Festung Verdun, 1792, Aquarell (Stiftung Weimarer Klassik).
Da die Proportionen der Landschaft mit dem Betrachterstandpunkt, von dem aus Goethe die Festungsanlage gezeichnet hat, nicht zur Deckung zu bringen sind, muss davon ausgegangen werden, dass er das Aquarell zu einem späteren Zeitpunkt, wahrscheinlich während des Rückzuges, in der Festung Luxemburg, aus dem Gedächtnis angefertigt hat, vielleicht auf der Grundlage von Skizzen, die vor Ort entstanden sind.
Zeichnen war für Goethe ein Fundament seiner Dichtkunst, und zwar im Sinn einer ständigen Übung zur Schärfung seines eidetischen Gedächtnisses. Während des ersten Italienaufenthalts, in dem er sich eine Auszeit von seinen überhand nehmenden politischen Aktivitäten nahm, hatte er sich nach einiger Zeit frustriert von der Vorstellung verabschieden müssen, eine Existenz als professioneller bildender Künstler begründen zu können,12 nur um kurz danach euphorisch zu entdecken, dass er sich in der Dichtkunst als wahrer Bildkünstler wiedergefunden habe. Dabei scheint für ihn von früh an, was das Gefühl für Komposition, Rhythmus und Klangfarbe betrifft, das Studium der Malerei eine viel bessere Schulung für sein poetisches Handwerk gewesen zu sein als die Heranziehung von fachlichen Lehrbüchern.
Der Zusammenhang zwischen Dichtkunst und bildender Kunst wird deutlich, wenn man sich den Umfang des Bildarchivs vergegenwärtigt, aus dem heraus sich das Corpus seiner Schriften speiste: eine Kunstsammlung mit 26.000 Objekten, darunter 6.000 Blätter Druckgrafik, 4.000 Zeichnungen – ca. die Hälfte von eigener Hand –, des weiteren Skulpturen, Gemmen und Porzellane. Dazu ein Naturalienkabinett mit ca. 23.000 Einzelobjekten: Mineralien, Herbarien, wissenschaftliche Gerätschaften etc.
Doch nicht nur seine Dichtkunst profitierte von dem immensen Fundus an bildnerischen Eindrücken, auch seine eigene Zeichnerei war dieser Unmenge an visuellen Vorlagen unterworfen. Im Tagebuch eines Bekannten findet sich 1792, also im Jahr des konterrevolutionären Feldzuges, folgender Eintrag: „ Er will jetzt eine kleine Landschaft radieren, und es soll unglaublich sein, was er für Sachen durchstudiert hat, bis er sich über die Manier einig geworden ist.“13 Es ist nicht bekannt, auf welches Blatt sich diese Äußerung bezog, sie beschreibt jedoch ein bildnerisches Orientierungsproblem im Zuge eines Stilfindungsprozesses, mit dem Goethe zur Zeit der Kampagne, also wenige Jahre nach der künstlerischen Wende, die seine italienische Reise bewirkt hatte, befasst war.
J.W .v. Goethe, Dorfbrand, 1776, Kreide (Stiftung Weimarer Klassik).
Seine Zeichnerei vor der Italienreise ist vor allem von einer Vorliebe für die niederländische Grafik des Spätbarock mit ihrem wirklichkeitsnahen Blick auf Alltagssituationen geprägt. Es entstanden in dieser Zeit etliche Zeichnungen von mitunter aktionsreich reportierender Qualität, die lebendige Dokumente seiner vielfältigen amtlichen Tätigkeiten im Thüringischen sind, wo er als Leiter der Bergwerks- und Wegebaukommission ständig unterwegs war. In Italien dann wandte er sich, vor allem unter dem Einfluss seines Lehrers, des in Rom lebenden Malers Philipp Hackert, von der früheren „kleinlich deutschen Art “ ab, die er mit ihrer ausschnitthaften Motivwahl als zu beschränkt empfand. Er strebte hin zu einer monumentalisierten Auffassung, die sich an die idealisierenden Landschaftsdarstellungen etwa von Poussin und Lorrain anlehnt.
In den spärlichen, aber pointierten Figurenstaffagen der Kampagnen-Zeichnungen wird allerdings auch wieder verstärkt der Einfluss der niederländischen Grafik virulent, vor allem der des Malers und Zeichners Allaert van Everdingen, von dem Goethe viele Stiche in seiner Sammlung hatte, und von denen er einige, wie er schreibt, mit großem Gewinn kopiert hatte. Everdingen verstand es wie kein anderer, seine detaillierten Landschaftsidyllen durch ein sehr reduziertes, dafür aber umso wirksameres, bruegelnahes Personal zu beleben.
Allaert van Everdingen, Reineke Fuchs, 1670, Radierung (MePri).
Wie wichtig Goethe das damals äußerst populäre Genre der Landschaftsmalerei war, in dem er auch seine vielfältigen naturwissenschaftliche Interessen wie Meteorologie, Geologie und Botanik einbringen konnte, belegt sein fragmentarisch gebliebener, zuletzt 1832 überarbeiteter Aufsatz „Landschaftliche Malerei“, in dem er sich in einer stichwortartigen Entwicklungsgeschichte des Genres versucht. Die Genealogie, die er dort aufstellt, geht von Tizian über Paul Bril und kulminiert in dem sich auf Claude Lorrain und Poussin beziehenden Sujet der heroischen Landschaft, deren Charakteristika er wie folgt skizziert: „[…] die sogenannte heroische Landschaft“ eines Menschengeschlechts „[…] von wenigen Bedürfnissen und von großen Gesinnungen. Abwechselung von Feldern, Felsen und Wäldern […], Wohnungen ohne Bequemlichkeit, aber ernst und anständig, Türme und Befestigungen, ohne eigentlichen Kriegszustand auszudrücken, […] keine Spur von Feld- und Gartenbau, hie und da eine Schafherde, auf die älteste und einfachste Benutzung der Erdoberfläche hindeutend.“14
Die Zeichnungen, die 1792 während des Frankreichfeldzuges entstanden sind, sind allesamt Beispiele für dieses Kunstideal einer von jeder Alltäglichkeit gereinigten heroischen Erbauungslandschaft. Im Zentrum steht dabei zumeist eine Festungsanlage, die Schutz und Trutz symbolisieren soll. Börne hat in diesem bildnerischen Leitmotiv auch eine grundlegende Struktur von Goethes Dichtungen ausmachen können, die, wie er feststellte, in einer den Leser einnehmenden Ummauerung und Beschränkung liege. 15
Neben Weimar als dem Ort seiner häuslichen Sicherheit waren es vor allem die habsburgische Festung Luxemburg, in deren unbezwingbar scheinenden Festungswälle die Armeen der Koalierten nach einem verlustreichen Rückzug Unterschlupf finden konnten, sowie der böhmische Kurort Karlsbad, die zu seinen meistgezeichneten Motiven zählten. Karlsbad war für ihn durch die sogenannten Karlsbader Beschlüsse seines Freundes Metternich, durch die die Intelligenz des Landes mittels einer ganze Reihe polizeistaatlicher Maßnahmen am Gängelband gehalten werden konnte, zu einem Garanten für die Gewährung von Sicherheit und Ordnung geworden.
J. W. von Goethe, Festung Luxemburg, 1792, lavierte Federzeichnung (Stiftung Weimarer Klassik).
J. W. von Goethe, Karlsbad, 1808, Federzeichnung (Stiftung Weimarer Klassik).
Was den Regenbogen betrifft, der in der Verdun-Zeichnung über der Festung aufgeht, so hat sich Gerhard Femmel, der Herausgeber der neunbändigen Ausgabe der Goethe-Zeichnungen in seiner Auslegung des Aquarells16 gewundert, dass Goethe dieses Himmelsphänomen in seinem Bericht völlig unerwähnt ließ. Da es sich bei der Darstellung jedoch offensichtlich um eine Allegorie handelt, muss die Absenz eines Regenbogens in Goethes Kriegsbericht nicht verwundern.
Goethe erwähnt jedoch ein anderes Refraktionsphänomen, das ihm während der Belagerung der Festung in einem regenwasservollen Trichter auf einer Wiese aufgefallen war. Das prismatische Farbenspiel, dessen er dort auf der Wasseroberfläche ansichtig wurde, galt ihm als erneuter Beweis für die Richtigkeit seiner eigenen „Farbenlehre“ und die Nichtigkeit von Isaac Newtons Optik.
Zwei Jahre zuvor hatte er mit seinen optischen Experimenten begonnen und sich entgegen aller von Freunden und Bekannten vorgebrachten Skepsis und Kritik in die Idee hineingesteigert, ein neuer Kopernikus zu sein. So steht denn Goethes Mitwirkung an dem Frankreichfeldzug, den er bereits in Begleitung eines großen Koffers mit Materialien und Gerätschaften zur „Farbenlehre“ angetreten hatte, zu weiten Teilen unter dem Einfluss dieser gigantomanischen Zwangsvorstellung. Auch die Untersuchungen über Kanoneneinschlagswinkel, die er während des Feldzugs vornahm, sowie sein verwegener Ritt in das Kanonenfeuer, über den er stolz berichtet, standen in erster Linie unter dem Vorzeichen, ihn als Eroberer auf dem Feld der Wissenschaft auszuweisen.
Der Regenbogen über Verdun symbolisierte für Goethe zum einen ein Heilsversprechen, das den kommenden Siegeszug seiner Wissenschaftsambitionen ankündigten sollte, zum anderen verbindet er sich in der Mehrdeutigkeit barocker Allegorese mit einem politischen Gehalt. Die Sonne, die im Westen hinter Verdun aufgeht und deren Strahlen durch die Gewitterbewölkung brechen, kommt aus der Richtung des revolutionären Paris. Allerdings konnte Goethe mit der republikanischen Richtung, die von dort kam, keinerlei frohe Erwartung verbinden.
Die Bedeutung der aufgehenden Sonne im Westen in Goethes Verdun-Zeichnung wird klarer, wenn man eine fast zeitgleich entstandene Federzeichnung von ihm hinzuzieht, die ganz ähnliche Bezüge zwischen Meteorologie und allegorischer Darstellung aufweist. Goethe hat sie auf der Rückseite eines Briefes skizziert, den er am 16. Oktober in seinem Luxemburger Quartier schrieb. Er berichtet darin von dem verheerenden Rückzug der Koalitionsarmee. Er wolle sich beeilen, schreibt er, nach Frankfurt zu seiner Mutter zu kommen, „um dort von einem bösen Traum zu erwachen, der mich zwischen Koth und Noth, Mangel und Sorge, Gefahr und Qual, zwischen Trümmern, Leichen, Äsern und Scheißhaufen gefangen hielt.“ Was war geschehen?
Nach der Besetzung von Verdun hatte weithin Unklarheit über das weitere Vorgehen der Invasionstruppen geherrscht. Zum Leidwesen Goethes hatte die Heeresleitung die beiden wichtigen Festungen Montmedy und Sedan unerobert liegen lassen. Da man eine Falle des Feindes auf der direkten Route nach Paris befürchtete, hatte man einen Haken in das Ardennengebiet geschlagen. Auf dem Marsch in Richtung Reims kam es dann in der Nähe des Dorfes Valmy zu einer mehrstündigen Artilleriekonfrontation mit den französischen Truppen, die zwar zahlenmäßig weit unterlegen waren, aber dennoch dem Kugelgewitter standhalten konnten. Demoralisiert durch die katastrophalen Umstände, durch wochenlange Regenfälle und Versorgungsengpässe, die eine Ruhr – und Choleraepidemie zur Folge hatten, beschloss die Heeresleitung den Rückzug, der in Folge der Seuchen mit Leichen gepflastert war. Die Koalitionsarmee wurde dadurch ohne jede Kampfhandlung um ca. 19.000 Mann auf fast die Hälfte ihrer ursprünglichen Stärke reduziert.
J. W. von Goethe, Grandpré a.d. Aire, 18.9.1792, Tusche laviert (Stiftung Weimarer Klassik).
Anonym, La Trouée de Grandpré, 1792, (Darstellung des mit Leichen gepflasterten Rückzugs der preußischen Truppen bei Grandpré), Kupferstich (Bibliothèque Nationale Paris).
Zu Goethes Überraschung, der dieser Entscheidung der Heeresleitung nur Unverständnis entgegenbringen konnte, wurden die beiden erst kurz zuvor eingenommenen Festungen Longwy und Verdun gegen die Zusicherung eines ungehinderten Rückzugs wieder kampflos an die Revolutionstruppen übergeben. Vom Oberbefehlshaber wurde Goethe dann angeraten, er solle bei seiner Darstellung der Ereignisse berücksichtigen, dass die Koalitionsarmee „nicht vom Feinde, sondern von den Elementen überwunden worden“ seien.17
Diese den Koalitionären widrigen Elemente sind auch das Thema der Briefzeichnung, in deren Zentrum Goethe einen so genannten „Freiheitsbaum“ platziert hat. Dieses malerische, an die Tradition der Maibäume anknüpfende Attribut der französischen Revolution mit der Jakobinermütze obenauf diente als Grenzmarke, um die von absolutistischer Herrschaft befreiten Territorien zu kennzeichnen. Als Wahrzeichen wurden sie auch gerne in den Zentren republikanischer Ortschaften aufgestellt.
J. W. von Goethe, Allegorische Darstellung des Freiheitsbaums, Federskizze auf der Rückseite eines Briefes an Herder, 16.10.1792 (Pierpont Morgan-Library, New York).
Über die Darstellung eines solchen Freiheitsbaumes, der in der Zeichnung als eine Art Wetterscheide fungiert, separiert sich der nach offizieller preußischer Lesart kriegsentscheidende Regen, der im rechten Bildteil auf das Gebiet der absolutistischen Allianz niederfällt, vom Sonnenschein, der im Gegenzug über dem französischem Gebiet aufsteigt. Ob der Verfasser mit dieser Zeichnung, die, wie er in dem Brief mitteilt, gegenwärtigen „Aspecten am Himmel“ als Erfolgsaussichten für die revolutionäre Sache verstanden wissen wollte, ist allerdings mehr als fraglich. Wie sich anhand des umfangreichen Korrespondenzmaterials zu dem Fall nachweisen lässt, war es ihm im Gegenteil darum zu tun, den Adressaten, seinen früheren Lehrer und Mentor Herder, der wie viele deutsche Intellektuelle ein anfänglicher Sympathisant der Revolution war, mit allen Mitteln von einer weiteren Parteinahme für die libertinäre Sache abzubringen.
Obgleich er mit dem Wegweiser, der die Aufschrift „Chemin de Paris“ trägt, eine relativ eindeutige Identifikation der dargestellten Landschaften ermöglichte, hat es Goethe dennoch nicht unterlassen, durch zwei zusätzliche Symbole weitere Zuordnungen zu ermöglichen. Dem Unglück verheißenden Rund des abnehmenden Mondes hat er ein Zeichen eingeschrieben, das als Adler identifiziert worden ist, das Wappentier der Allianz.18 In der Insignie, die der Sonne eingeschrieben ist, die hinter der Festung aufsteigt, wurde hingegen die Lilie, das dynastische Emblem des bourbonischen Ancien Regime erkannt. Zur Zeit der Abfassung des Briefes , die wenige Monate vor der Hinrichtung des französischen Königs geschah, konnte Goethe sich noch Hoffnungen auf den künftigen Sieg einer moralisch erneuerten absolutistischen Herrschaft in Frankreich machen, die seiner Auffassung nach durch die luziferischen Einflüsterungen von Scharlatanen nach Art des Cagliostro korrumpiert worden war. So muss auch die aufgehende Sonne über der Festung Verdun nicht als frohe Botschaft einer von Paris kommenden Revolution gewertet werden, sondern im Gegenteil als ein Emblem der Hoffnung auf die Restauration der alten absolutistischen Ordnung, – die allerdings noch achtundzwanzig Jahre lang auf sich warten lassen sollte.
Aktuell war Goethe jedoch ganz abseits aller verheißungsvollen Zukunftserwartungen zusammen mit seinem fürstlichen Freund fieberhaft damit beschäftigt, ein Überspringen freiheitlicher Ideen auf den paternalistisch regierten Kleinstaat Weimar einzudämmen. Dieser stellt sich höchstens aus der Verklärung eines mit zwei Weltkriegen angefüllten zeitlichen Abstands als der gemütliche konfliktfreie Kosmos dar, als der er dem Publikum von Generationen von Germanisten verkauft wurde. Eher das Gegenteil ist der Fall gewesen, wie die Recherchen des amerikanischen Goethe-Spezialisten W. Daniel Wilson mittlerweile zu Tage gefördert haben.19
Da gab es Bauernunruhen im Thüringischen, die sich in den achtziger Jahren durch Fronverweigerung und die Einreichung von Petitionen gegen Auswüchse des Feudalsystems zu wehren erdreistet hatten. Sie waren unerbittlich niedergekämpft und ihre Protagonisten kriminalisiert worden. Der Dichterfürst hatte sich dabei vor allem als Scharfmacher und Befürworter eines rigorosen Durchgreifens hervorgetan.20 Mit dem Ausbruch der Französischen Revolution hatten sich die Spannungen in der Bevölkerung potenziert und wurden durch zunehmend autoritäre Maßnahmen, oft unter Aufwendung hoher Polizeiaufgebote, in Schach gehalten.21
Einer der Hauptunruheherde war die von der Weimarer Regierung mit verwaltete Universität Jena. Als Mitglied des Geheimen Consiliums, des obersten Entscheidungsgremiums des Landes, hatte Goethe im Verbund mir den drei anderen Räten die Oberaufsicht über diese damals zahlenmäßig stark anwachsende Lehrstätte inne. Er trat dabei entschieden für eine polizeistaatliche Taktik der Kontrolle ein, die auf einem System der Bespitzelung und der Denunziation gründete, das geeignet war, die universitäre Selbstverwaltung zu unterminieren.22
Das Consilium betrachtete vor allem die zunehmenden geheimbündlerischen Aktivitäten der Studenten mit Sorge. Dass etliche der Protagonisten der Französischen Revolution einen freimaurerischen Hintergrund hatten, war bekannt, und so galten Geheimbünde, die die Ideale der Aufklärung verbreiteten, als unkontrollierbare Brutstätten eines potentiellen Jakobinertums.23 Die rigide Zerschlagung der studentischen Bünde, die Goethe, der wie sein Landesherr selbst Mitglied einer Loge war, im Consilium durchgesetzt hatte, hatte im Februar 1792 zu Studentenunruhen geführt. Mitte Juli hatten diese in einem Aufsehen erregenden Umzug von 500 Jenaer Studenten in die benachbarte kurmainzische Universität Erfurt ihren Siedepunkt erreicht. An ihrer Rückführung war Goethe wiederum entscheidend beteiligt gewesen. Es war die Überwachung und Kontrollierung dieser explosiven Situation, die Goethe länger als beabsichtigt in Weimar gehalten hatte und die dann zu seiner Verspätung beim Frankreichfeldzug geführt hatte.
Doch nicht nur die Jenaer Studentenschaft war Gegenstand argwöhnischer Observationen durch das Weimarer Consilium, auch etliche aus der Professorenschaft, die einem nach Goethes Diktion für „Wahnsinn“ gehaltenen „Demokratismus“ zuneigten, waren Zensurmaßnahmen und subtilen Pressionen unterworfen.24 Nicht selten kamen die von Goethes Seite, der von seinem Dienstherren als eine Art Zuchtmeister für Intellektuelle, die politisch aus der Reihe tanzen wollten, eingesetzt wurde.
Ein solcher Fall war Johann Gottfried Herder.25 Der angehende Dichterfürst verdankte in seiner Jugendzeit mehr als jedem anderen dem Bildungseinfluss des fünf Jahre älteren Geschichts- und Sprachphilosophen. Goethe revanchierte sich später, indem er dessen Berufung zum obersten Geistlichen in Weimar durchsetzte. Die subtilen Einschüchterungsversuche, denen Herder als angeblicher Rädelsführer eines vom Herzog vermuteten libertinären Komplotts ausgesetzt war, führten schließlich zum endgültigen Zerwürfnis mit dem ehemaligen Schüler.
Anmerkungen:
1 In Abhebung vom Wilhelminischen Kaiserreich wird das Heilige Römische Reich Deutscher Nation auch das „alte Reich“ genannt. Dieser Begriff wird im Folgenden verwendet.
2 Wolfgang Rothe: Goethe als Pazifist, Göttingen 1998.
3 Siehe dazu die sehr detaillierte Beschreibung der Ordnungsstrukturen der Kaiserschlacht in Faust II, 4. Akt.
4 J. W. von Goethe, Campagne in Frankreich 1792. Hamburger Ausgabe der Werke Goethes in 14 Bänden, Bd.10: 7., neubearbeitete Auflage, München 1981, S. 188-363; S. 265 (im Folgenden: Campagne).
5 Als „einen grauen Star im deutschen Auge“ hatte Börne ihn in seinen Briefen aus Paris bezeichnet und seine „ungeheuer hindernde Kraft“ konstatiert. Aus dem Tagebuch 1830: „Goethe hätte ein Herkules sein können, sein Vaterland von großem Unrate zu befreien; aber er holte sich bloß die goldenen Äpfel der Hesperiden, die er für sich behielt […] Wie ganz anders lebten und wirkten die großen Dichter und Redner Italiens, Frankreichs und Englands! […] Sie wirkten für Freiheit und Recht. Wie war, wie ist Goethe? […] Nie hat er ein armes Wörtchen für sein Volk gesprochen, er, der früher auf der Höhe seines Ruhms unantastbar, später im hohen Alter unverletzlich, hätte sagen dürfen, was kein anderer wagen durfte.“ (Börne, Aus meinem Tagebuche 1830).
6 Vgl. Ludwig Börne: Briefe aus Paris, 1832-1834. Dritter Teil. Einundfünfzigster Brief 1833.
7 Theaterstücke wie Der Groß-Cophta, Der Bürgergeneral, Die Aufgeregten oder Unterhaltungen deutscher Ausgewanderten finden sich heute auf keinem Spielplan mehr.
8 So beschrieben in: Friedrich Christian Laukhard: Leben und Schicksale, Leipzig 1792-1802.
9 Michelle Vovelle hat in seiner Mentalitätsgeschichte der französischen Revolution das Moment des Panischen als einen wesentlichen Katalysator herausgearbeitet (Michelle Vovelle: Die französische Revolution. Soziale Bewegung und Umbruch der Mentalitäten, Frankfurt a. M. 1985).
10 Eric Hobsbawm: Europäische Revolutionen 1789 bis 1848, Zürich 1962, S. 131.
11 Campagne, a.a.O., S. 205.
12 Ich bin schon zu alt, um von jetzt an mehr zu thun als zu pfuschen; […].“ Italienische Reise, 24.11.1787 (Hamburger Ausgabe…, a.a.O., Bd. 11: 10., neubearbeitete Auflage, S. 434).
13 K. Graß: Tagebuch. Vertraulicher Brief an Bode vom 12.2.1792.
14 J. W. von Goethe: Landschaftliche Malerei, (Hamburger Ausgabe…, a.a.O., Bd. 12: 9., neubearbeitete Auflage, S. 216-223; S. 222 f.).
15 „Goethes Gedanken sind alle ummauert und befestigt. Er selbst will, sein Leser kann nicht mehr hinaus, sobald er in sie eingedrungen. Das Tor schließt sich hinter ihm, er ist gefangen.“ (Ludwig Börne: Aus meinem Tagebuche, 27.5.1830).
16 Gerhard Femmel (Hg.): Corpus der Goethe-Zeichnungen, Bd. IV a, Leipzig 1975.
17 Campagne, a.a.O., S. 264
18 Der einfache Adler als Wappentier der preußischen Hohenzollern, der Doppeladler als das der österreichischen Habsburger.
19 W. Daniel Wilson: Geheimräte gegen Geheimbünde, Stuttgart 1991; ders.: Unterirdische Gänge. Goethe, Freimaurerei und Politik, Göttingen 1999; ders.: Das Goethe – Tabu, München 1999; ders.: Goethes Weimar und die französische Revolution. Dokumente der Krisenjahre, Köln – Weimar 2004; vgl. Exkurs 1: Goethe-Tabu.
20 Wilson: Das Goethe-Tabu, a.a.O., Kap. 2.
Exkurs 1: Goethe-Tabu
W. Daniel Wilson, dem selbst seine Gegner eine wissenschaftlich sehr akribische Archiv- und Quellenarbeit bescheinigen müssen, war im Verlaufe seiner Recherchen in den Thüringischen Staatsarchiven auf eine Reihe von Dokumenten gestoßen, die von der deutschen Goetheforschung bislang unbeachtet geblieben waren. Obgleich er in seinen Schlussfolgerungen weitgehend der Faktenlage folgt, haben seine Publikationen Ende der neunziger Jahre unter der Germanistenzunft eine große Welle der Empörung hervorgerufen. Man bezichtigte ihn ob seiner wiederholten Attacken auf das tradierte Goetheverständnis der „permanenten Rechthaberei“ und einer wissenschaftlichen Profilierungs- und Kompromittierungssucht. Der zentrale Vorwurf, den auch der Trierer Germanist Hartmut Reinhardt in seinem Beitrag „Der Ermittler. Über den amerikanischen Goethe-Kritiker W.Daniel Wilson“ äußert, lautet, dass dieser durch seine Fixierung auf den politischen Goethe gänzlich „die ästhetische Wahrnehmung“ aus dem Blickfeld verloren habe.
Reinhardt empfiehlt seiner Kollegenschaft einen moderaten Umgang mit dem Störenfried. Er verortet Wilsons Auseinandersetzung mit dem politischen Goethe in der „Ideologiekritik früherer Jahrzehnte“, in „einer methodischen Formation, die mit bestimmten Theorieprämissen (marxistischer Provenienz) eine Position permanenten Besserwissens gegenüber historischen Autoren beansprucht“, und die „mittlerweile gründlich ausgespielt“ habe. „Man möchte ihm“, so die abschließende Empfehlung des deutschen Germanistikprofessors an seinen kalifornischen Kollegen, „die weiterführende Einsicht wünschen, dass es bei Goethe und seinem literarischen Werk auch anderes zu entdecken gibt als jene ‚Verdachtsmomente’ der politischen Praxis, an denen seine Recherchen einsetzen oder seine Hypothesen auswuchern. Wenn er sein garstiges Lied nicht umstimmt, müssen wir es weiter aushalten. Auch Goethe hält es aus.“
(Goethes Kritiker, hg. v. Karl Eibl u. Bernd Scheffer, Paderborn 2001)
21 Vgl. ebd., Kap. 3.
22 Vgl. ebd., Kap. 4.
23 In seinem letzten Roman (Wilhelm Meisters Wanderjahre; Erstveröffentlichung 1. Fassung, Stuttgart – Tübingen 1821; 2. Fassung, Stuttgart – Tübingen 1829) entwirft Goethe die Vision eines gegenaufklärerischen Geheimordens; Hamburger Ausgabe…, a.a.O., Bd. 8: 10., neubearbeitete Auflage.
24 Wilson: Das Goethe-Tabu, a.a.O., S. 187
25 Vgl. ebd., Kap. 5.
Das gleichnamige Buch ist, herausgeben von Ignaz Knips und Gerhard Theewen, 2008 in der Reihe édition questions im Salon Verlag Köln erschienen.