Alexander Roob]
[May 28, 2011
Das Grauen, das aus Archiven kommt : “Kriegszeit” in Stuttgart (Ausstellungsbesprechnung)
Not translated:
Offensichtlich wurde diese Kriegs – Ausstellung der Staatsgalerie Stuttgart um das reichhaltige Konvolut von exzellenten Grafiken und Originalzeichnungen von Käthe Kollwitz herum konzipiert, das sich in der hauseigenen Sammlung befindet. Mehr als ein Drittel der Ausstellungsfläche ist ihrem Werk gewidmet; darunter befinden sich auch die beiden grafischen Zyklen Ein Weberaufstand (1897) und Bauernkrieg (1904), mit denen der Künstlerin in der Nachfolge von Menzel´s illustratorischen Werk der Durchbruch gelungen war.
Dass Kollwitz-Grafiken allerdings nur pazifistisch wirksam waren, gehört zu den nicht wenigen Mythen, die in der Ausstellung an den Betrachter weiterreicht werden. Blätter wie Der Weberzug, Aufruhr oder Losbruch transportierten genug dynamisches Aggressionspotential, um sie später erfolgreich für Hetzkampagnen im kommunistischen Klassenkampf einsetzen zu können. Kollwitz-Grafiken dienten beispielsweise in den Holzschnittschulungen des Dichters Lu Xun, die in Shanghai zu Mitte der 30er Jahre stattfanden, als zentrales Anschauungsmaterial. Im Verlauf des chinesischen Bürgerkriegs und der maoistischen Kulturrevolution flossen sie dann als Vorlagen in eine Vielzahl von Propagandagrafiken ein. In einer Hitliste von Gewalt auslösenden Grafiken müsste ein Kollwitz- Druck wie Losbruch, diese unheimliche und mitreißende Visualisierung von „gerechtem“ Volkszorn, an oberer Stelle rangieren.
Käthe Kollwitz, Losbruch. Radierung, 1903
Li Hua, Flut des Zorns. Holzschnitt, ca.1935
So zeigt sich bereits zu Eingang der Ausstellung, dass das Motiv des Kriegs im Spiegel der Kunst der Moderne eine zweischneidige Angelegenheit ist. Einer kritischen Auseinandersetzung mit dieser grundlegenden Ambivalenz expressionistischer Grafik stellt sich diese Ausstellung aber nicht, noch macht sie klar, warum sie ausschließlich expressionistische Grafik als repräsentativ für eine künstlerische Auseinandersetzung mit den Weltkriegen nimmt. Stattdessen beruft sie sich in der Künstlerauswahl auf die Stuttgarter faschistische Novembergeist – Ausstellung von 1933 und die Münchner Entartete Kunst-Ausstellung von 1937, ohne allerdings deren Kanon stiftende Funktion zu hinterfragen. Sich nach siebzig Jahren in der Künstlerliste für eine Kriegsausstellung noch immer völlig unkritisch auf die Vorgaben dieser Ausstellungen zu stützen, das heißt in einer geradezu absurden Weise auf deren ungebrochene kunsthistorische Autorität zu pochen.
Konkret bezieht sich der Titel Kriegszeit auf die gleichnamige Künstlerzeitung, die der Galerieverlag Bruno Cassirer von 1914-16 veröffentlich hatte. Im Eingangsbereich der Ausstellung liegt sie aufgeschlagen. Zu sehen ist eine Doppelseite mit einem Blatt von Max Beckmann. Was allerdings der zentrale Verweis auf dieses publizistische Organ der ex- und impressionistischen deutschen Künstlerschaft eröffnen soll, erschließt sich nicht. Nur wenige der ausgestellten Künstler waren tatsächlich Mitarbeiter der Kriegszeit und die zentrale Künstlerin der Ausstellung hatte sich nach dem Fronttod ihres Sohns dem patriotischen, kriegseuphorischen Duktus des Blattes aus guten Gründen verweigert. Wie sich dieses von Max Liebermann mitgeprägte bildjournalistische Beiboot der Cassirer-Galerie im Gesamtkontext illustrierter Weltkriegspublizistik positioniert hat erfährt der Besucher der Ausstellung nicht.
Dass es sich gerade beim ersten Weltkrieg, der das zentrale Thema der Ausstellung ist, um eine Hochphase der künstlerischen Bildberichterstattung gehandelt hat, die sich in einer großen Vielfalt von Publikationen mit einer enormen stilistischen Breite entfaltet hatte, wird an keiner Stelle der Ausstellung deutlich. Stattdessen wird in der Beschränkung auf wenige gängige und „gesicherte“ Markennamen einer einzigen Stilrichtung ein völlig verzerrtes, ja falsches Bild von der künstlerischen Kriegsrezeption der Zeit erzeugt. Dass es sich bei vielen der gezeigten Arbeiten um sehr spezielle grafische Idiome gehandelt hat, die sich eng an karikatureske Schemata orientierten, würde deutlicher, wenn man sie in dem großen Spektrum von Bildpublizistik wahrnehmen könnte, in dem sie entstanden sind. Georg Grosz hatte früh die synthetische Eindimensionalität expressionistischer Zeichenweisen und deren Erstarrung im Floskelhaften beklagt. Dass die Ausstellung einer kritischen Auseinandersetzung damit aus dem Weg geht, rächt sich spätestens an deren chronologischem Schlusspunkt, denn dort tritt dann als so genannter “Gast aus der Gegenwart” Anselm Kiefer mit seinem bräsigen Buchwerk Heroische Sinnbilder (1969) auf, das dem Publikum als konsequente Fortschreibung expressionistischer Betroffenheitsrhetorik verkauft wird, als Beispiel für eine zeitgenössische künstlerische “Trauerarbeit”.
Diesem traurigen Zeugnis einer hypothetischen Kollwitz -Nachfolge gegenübergestellt ist der furiose Holzschnittzyklus Dresden 1945 von Wilhelm Rudolph, der die zerbombte Stadt in einer Reihe von fünfundfünfzig flirrenden Xylographien festgehalten hat. Rudolph´s Opus, das hier leider nur ausschnitthaft gezeigt wird, ist die einzige ausgestellte Arbeit, die sich mit der Intensität der grafischen Arbeiten von Kollwitz messen kann. Trotzdem reichte es in diesem Fall nicht für eine Erwähnung im Ausstellungstitel. McKinsey in den Köpfen von Kuratoren und Direktoren ließ das offenbar nicht zu. Kollwitz-Beckmann-Dix-Grosz, so heißt die Ausstellung im Untertitel, und damit basta.
Wilhelm Rudolph, Holzschnitt aus: Dresden 1945, 1946
Die ärgerliche Zuspitzung der Präsentation auf den ewig gleichen Zirkel von Kriegskünstlern, der seit siebzig Jahren die Rezeption dieses Themas regiert, erklärt sich wohl zum Teil aus der Entscheidung, die Ausstellung ausschließlich aus den Beständen der eigenen Sammlung zu bestücken. Während die Staatsgalerie noch kurz zuvor anlässlich der Jubiläumsausstellung der Graphischen Sammlung demonstriert hatte, welch hervorragendes Resultat ein solcher Griff in die eigenen Bestände im Format einer Überblicksausstellung zeitigen kann, zeigt sich hier nun, wie fatal sich Sparstrategien im Rahmen eines thematisch ambitionierten Formats auswirken können. Sean Rainbird, der Direktor der Staatsgalerie wird mit der Aussage kolportiert, dass “der Blick ins eigene Archiv” zum “weltweiten Trend” werde. Angesichts notorisch leerer Kassen lässt sich eine solche Zunahme musealer Fastenkuren auch ohne prophetische Gabe voraussagen. Wie die Kriegszeit-Ausstellung belegt, handelt es sich dabei allerdings um eine ziemlich schwarze Perspektive. Denn hier zeigt sich nämlich, dass der kollektive museale Blick in die eigenen Sammlungen in Zukunft vor allem eines offenbaren wird, nämlich das Grauen angesichts einer zu Tage tretenden stromlinienförmigen Sammlungspolitik, die sich immer auf die glelchen Namen konzentriert. Ausstellungen, die man ausschließlich aus solchen gleichgeschalteten Beständen generiert, können zwangsläufig nur zu einer weiteren Perpetuierung eines seit langem schon festgefahrenen und erneuerungsbedürftigen kunsthistorischen Kanons führen. Wenn also die Perspektiven tatsächlich so sind, wie es Sean Rainbird anzeigt, dann gibt es ganz unabhängig von den jeweiligen Qualitäten der einzelnen Bestände – und die Stuttgarter Graphische Sammlung ist zweifelsohne eine der Umfangreichsten und Besten, – nur eine kunsthistorisch produktive Perspektive, nämlich die Pforten der Museen zu schließen und das Licht auszuknipsen. (Alexander Roob)
Kriegszeit – Staatsgalerie Stuttgart, 30.4.-7.8.11