Alexander Roob]
[February 1, 2015
“Magnificent bite” or “Damn punch in the face” ? ———- Abdul Jossot hits Charlie Hebdo …. and the FAZ misses.
Not translated:
Das Charlie Hebdo-Massaker hat viele Kommentatoren der internationalen Feuilletons in die Bredouille gebracht. Wie sollte man auf die Schnelle dieses offenbar speziell französische Phänomen eines auf äußerte Konfrontation gerichteten politischen Cartooning erklären, zu deren Drastik sich die übrigen nationalen Karikaturschulen offenbar wie Messdiener zu einer Bande bekiffter Hells Angels verhalten? Wie Licht in eine illustrationshistorische Finsternis bringen, von der man selbst umgeben ist?
Exemplarisch für dieses Dilemma steht der Beitrag des Graphic Novel-Spezialisten Andreas Platthaus in der FAZ vom 7.1.2014. Sein Erklärungsversuch bringt das legendäre satirische Monatsmagazin Hara-Kiri in Erinnerung, das 1960 von den beiden Erz-Anarchisten Francois Cavanna und Georges Bernier aka Professeur Choron ins Leben gerufen wurde. Nachdem sein Wochenableger Hara-Kiri Hebdo im November 1970 wegen Verunglimpfung des verstorbenen Staatspräsidenten Charles de Gaulle verboten wurde führte man das Magazin als Charlie Hebdo weiter. Damals war übrigens klar, dass damit nicht der harmlose Peanut Charlie Brown gemeint war, sondern in despektierlicher Weise auf die beleidigte Majestät des Charles de Gaulle angespielt wurde. Dass nach dem Massaker plötzlich alle Welt ihre Verbundenheit mit dem Magazin bekundete, indem man sich als dieses autokratische Gespenst aus der Frühzeit der 5. Republik ausgab, in dessen Gegnerschaft sich das Magazin konstituiert hatte, ist nur eines von mehreren wunderlichen Volten im Fall des Attentats auf Charlie Hebdo.
Hara-Kiri # 86, Nov. 1968 (MePri-Coll.)
Zurück zum Beitrag der FAZ: Auf der Suche nach den Quellen der radikalen französischen Karikaturkultur landet Andreas Platthaus bei dem frühverstorbenen Star-Cartoonisten von Hara-Kiri Jean-Marc Reiser. In dem engen Freund des ermordeten Zeichners Georges Wolinski macht er den großen Erneuer der jüngeren französischen Karikaturbewegung aus: „Reiser hatte das Verständnis von Satirezeichnung verändert, weil er bereit war, alle Regeln des Geschmacks zu verletzen, und damit hatte er die politische Bedeutung der Pressezeichner, die in Frankreich seit Charles Philipon und Honoré Daumier einen grandiosen Ruf, aber keinen grandiosen Biss mehr besaßen, neu belebt.“
L´Hebdo Hara-Kiri # 63, 13.4.1970, Titelcartoon von Jean-Marc Reiser (MePri-Coll.)
Dass Reisers ätzender Anarcho-Spott, der in ein lockeres Strichwerk gekleidet war, von beträchtlichem Einfluss war, lässt sich kaum leugnen. Die Popularität seines weichgespülten westdeutschen Klons Walter Moers mag als Beleg für seine internationale Geltung genügen. In den zugeknöpften frühen Sechzigern war Reisers expressives Cartooning tatsächlich revolutionär. Ihn jedoch über diesen Nachkriegshorizont hinaus in den Stand eines ersten Vorbeißers der Pressegrafik nach Daumier zu erheben, mutet seiner leichtfüßigen Impertinenz nicht nur ein groteskes Übergewicht zu, sondern ignoriert nichts weniger als ein ganzes Jahrhundert Karikaturgeschichte. In deren Verlauf hatte sich in Frankreich schon früh eine grafische Tollwut entwickelt, die alles in den Schatten stellte was sich ein zahnloser Zeichner wie Daumier nur erträumen konnte.
Eine ähnlich verzerrte Sicht auf die Illustrationshistorie vermitteln die Kommentare der Kulturredakteure der TAZ, Julian Weber, und des Tagesspiegel Ralph Trommer. Was könnte ferner liegen, als die nach klassischer Vollendung strebende Crayon-Manier Daumiers, die sich mit dem Verbot politischer Karikatur in Frankreich 1835 in den Dienst einer verspießten Sittenschilderung begab, mit den sarkastischen Attacken des Hara-Kiri -Teams kurzzuschließen? Der Blackout, der sich einstellt, wenn es um ein Verständnis der Entwicklung der politischen Karikatur in Frankreich geht und der sich auf die einfache Formel “Außer Daumier nix gewesen“ bringen lässt, kommt nicht von Ungefähr. Er ist einer systematischen Verdrängung der Kultur der Pariser Kommune und der reichen Tradition anarchistischer Pressegrafik zur Zeit der Dritten Republik geschuldet, deren subversiver Einfluss es aus der Perspektive der sie isolierenden monarchistischen Allianzen unbedingt und nachhaltig zu unterbinden galt. In den frühen 1970er Jahren gab es einige Versuche von Seiten einer marxistischen Kunstgeschichte, diese ungemein einflußreiche Tradition radikaler Bildpublizistik neu zu entdecken. Sie wurden jedoch schon bald von dem ausgreifenden apolitischen und nicht selten reaktionären Comicboom der 70er und 80er Jahre in den Hintergrund verbannt.
Gabriele Galantara, in: L Assiette au beurre # 242, 18.11.1905 (MePri-Coll.)
In etlichen Interviews und Statements haben sich Künstler von Hara-Kiri und Charlie Hebdo wie Cavanna, Cabu, Wolinski und Charb zu diesem anarchistischen Erbe bekannt, für das um die Jahrhundertwende in Frankreich eine ganze Reihe hoch bissiger satirische Magazine wie Le Chambard socialiste, Le Canard sauvage, Les Hommes du jour, Le Rire, La vie en rose, Le Cri de Paris, Cocorico, Le courrier francais und an vorderster Stelle das populäre und auflagenstarke L´Assiette au beurre stand. Besonders eindrucksvoll kommt dieser Zusammenhang in der Fernsehdokumentation von Jean-Michel Royer und Gerard Pignol über L´Assiette au beurre (FR3, 1981) zum Ausdruck, die über weite Strecken in den Redaktionsräumen von Charlie Hebdo gedreht wurde.
Jules Grandjouan, in: L Assiette au beurre # 300 , 29.12.1906 (MePri-Coll.)
Auch der Zeichner Siné kommt hier zu Wort, der 1962 mit seinem anti-gaullistischen Magazin Siné Massacre kurzzeitig die auf Themenheften aufbauende editorische Konzeption von L´Assiette au beurre fortzuführen versuchte. Siné ist heute der dienstälteste Karikaturist der anarchistischen Linken in Frankreich. In den fünfziger Jahren hatte er sich als erbitterter Gegner des Algerienkriegs einen Namen gemacht und stand dann während der Pariser Mairevolte an vorderster Cartoon-Front. Wiederholte antisemitische Äußerungen des PLO-Sympathisanten, zuletzt ein Ausfall gegen den Sarkozy-Clan, führten 2008 zu seiner spektakulären Entlassung bei Charlie Hebdo; Diese ganz besondere Volte im Fall des Pariser Satiremagazins hat nun den prominenten Streiter für Pressefreiheit Glenn Greenwald auf den Plan gebracht. Seine Behauptung, dass die Charlie Hebdo– Redaktion mit ihrer Muhammad-Kampagne eine ganz ungleiche bzw. parteiische Blasphemiepolitik betrieben habe, lässt sich angesichts des Falls Siné nur schwer widerlegen.
Die anarchistische Satire des Fin de siecle war und ist zweifellos ein entscheidender Bezugspunkt des politischen Cartooning in Frankreich. Die Wende vom klassisch-bürgerlichen Habitus der Philipon-Presse hin zu einer experimentierfreudigeren, ästhetisch schrillen Anschauung geschah jedoch viel früher, bereits zu Mitte der 1860er Jahre im Werk von André Gill. Gill war eigentlich mehr an der künstlerischen Seite der Karikatur interessiert als an ihren politischen Inhalten. Während des zweiten Kaiserreichs begann er sich allerdings sehr erfolgreich den Herausforderungen des Zensurkampfs zu stellen und stieg damit zu einer wichtigen Identifikationsfigur der anarchistischen Boheme auf.
André Gill: Le Journalisme de l´ avenir, in: L´Eclipse, 5.12. 1875 (MePri-Coll.)
Gill verlegte seine bizarren Karikaturen selbst im aufdringlichen Folioformat und in knalligen Farben. Auf die Bildpublizistik der Kommune, in deren Kulturpolitik er neben seinen Freunden Gustave Courbet und Jules Vallés prominent involviert war, hatte er einen ganz beträchtlichen Einfluss. Die beiden wichtigsten Zeichner der Kommune-Karikatur, Pilotell und Klenck, waren Gillisten. Der „grandiose Biß“ von Hara-Kiri und Charlie Hebdo ist in ihren Werken bereits völlig präsent. Klencks Porträt von Adolphe Thiers, dem „Schlächter der Kommune“, steht in seiner Drastik und in seiner skizzenhaften Offenheit und Aufdringlichkeit den Zeichnungen von Jean-Marc Reisers in nichts nach. Schon hier findet sich wie in der folgenden Blütezeit politischer Karikatur während der 3. Republik die unbedingte Bereitschaft der Cartoonisten „alle Regeln des Geschmacks zu verletzen.“
Pilotell: Actualites # 18, C´est la Qu´ils Iront Sieger, 1871 (MePri-Coll.)
Paul Klenck ( aka Filozel ): Les Crimes de l´Executif No. 1 – Encore un!, 1871 (MePri-Coll.)
Paul Klenck ( aka Filozel ): Les Crimes de l´Executif No.2. – A Qui Le Tour , 1871 (MePri-Coll.)
L´Hebdo Hara-Kiri # 44, 1.12. 1969, Titelcartoon von Jean-Marc Reiser (MePri-Coll.)
Die kindische Kritzelei, die André Gill im Januar 1878 in seinem Magazin La Lune Rousse Frau Anastasie, der tantigen Personifikation einer ewig wiederauferstehenden Zensur entgegenstreckte, war ein künstlerisches Programm, das seine beiden experimentierfreudigen Schüler Alfred Le Petit und Emilé Cohl in den 1880er und 1890er Jahren in proto-dadaistischer Weise weiterentwickelten.
André Gill: Un dessin de Gill, in: La Lune Rousse # 60, 1876 (MePri-Coll.)
Um die Jahrhundertwende gesellte sich zu dieser älteren Garde von antiakademischen Gillisten eine Reihe junger anarchistischer Künstler, die mit ihren neuen Art Noveau-Manieren und verwegenen primitivistischen Anschauungen in der Nachfolge Paul Gaugins das Verständnis von Karikatur gehörig aufmischten. Zu diesen jungen Wilden des Cartooning zählte Felix Vallotton, dessen im Frühjahr 1902 erschienene Sondernummer von L´Assiette au beurre über Verbrechen und Strafe ( „Crimes et Chatiments“) ein Meilenstein anarchistischer Grafik vorstellt, und Henri Gustave Jossot, der ebenfalls für etliche Themenhefte dieses Satiremagazins verantwortlich war. Während sich Vallottons pressegrafisches Werk im offenen Bereich frühexpressionistischen Grafik bewegt, gelang es Jossot durch eine intelligente Verschmelzung von plakativer Karikaturtradition à la Gill und cloisionistischem Reduktionismus ein künstlerisches Cartooning von äußerster Prägnanz zu entwickeln, dessen Frechheit und Frische auch heute noch frappieren.
Felix Vallotton:, aus: Crimes et Chatiments, L Assiette au beurre , 1.3. 1902 (MePri-Coll.)
Gustave-Henri Jossot in: L Assiette au beurre # 144 , 02.01.1904 (MePri-Coll.)
Gustave-Henri Jossot: Colonies 1902, reprinted in: Siné Massacre # 9, April 1963 (MePri-Coll.)
Gustave-Henri Jossot in: L Assiette au beurre # 150 , 13.02.1904 (MePri-Coll.)
In einem Beitrag für einen 2010 von Michel Dixmier und Henri Viltard herausgebenen monografischen Band über Jossot (Jossot Caricatures. De la révolte À la fuite en Orient) berichtet der von Islamisten ermordete Zeichner Cabu von dem starken Eindruck, den Jossots Grafik auf ihn als Jugendlicher gemacht hatte. Um die Wirkmächtigkeit von dessen Kunst zu illustrieren, referiert Cabu auf einen Ausspruch des befreundeten Hara-Kiri Gründers:„Wenn Cavanna sagt: Eine gute Zeichnung ist wie ein Schlag in die Fresse, dann ist eine Zeichnung von Jossot ein verdammter Schlag in die Fresse“. In eine ganz ähnliche Richtung weist der ebenfalls ermordete Chefredakteur von Charlie Hebdo , Charb, wenn er in einem Cartoon von 2011 die Krassheit der Jossot´schen Grafik mit der Sprengkraft eines islamistischen Anschlags vergleicht.
„Jossot, das ist ein Islamist” – “Das wundert mich nicht. Jede seiner Zeichnungen war ein Attentat.” Cartoon von Charb für eine Ausstellung über Jossot, 2011. (Source: https://gustave.jossot.free.fr/actu.html)
Der Zusammenhang zwischen Kunst und Attentat hat in Frankreich Tradition. Um die Jahrhundertwende gab es dort ein sehr spezielles sympathetisches Verhältnis zwischen dem Ästhetizismus und der anarchistischen propagande par le fait, sprich: dem Terrorakt. Exemplarisch dafür steht der Kommentar von Laurent Tailhade zu dem Sprengstoffattentat auf die französische Nationalversammlung im Dezember 1893, bei dem fünfzig Personen verletzt wurden: „Wen kümmert das Opfer angesichts der Schönheit der Tat.“ (“Qu’importe la victime si le geste est beau”). Die kubistische Revolution ist eng mit dieser Apotheose des explosiven Befreiungsschlags verbunden und auch André Breton hat später in die gleiche Kerbe gehauen, als er den Terrorakt zur reinsten surrealistischen Handlung verklärte.
Gustave-Henri Jossot in: L Assiette au beurre # 144 , 02.01.1904 (MePri-Coll.)
Der Clou, auf den der Cartoon von Charb abhebt und die mittlerweile tragische Ironie des Einflusses von Jossots Kunst auf das Cartooning von Charlie Hebdo liegen in dem Fakt, dass sich Jossot, nachdem er seine Reihe ätzender Gesellschaftskritiken für L´ Assiette au beurre 1907 beendet hatte, von dieser offensiven Art von Grafik abzukehren begann, da er sie zunehmend als zerstörerisch empfand und sich als Antidot in die Arme des islamischen Glaubens flüchtete. Nach seiner Konversion im Jahr 1913 nahm er den Namen Abdul Karim an. (Die Website von Henri Viltard bietet einen guten Einblick in Jossots islamische Phase)
Abdul Karim Jossot, 1913, Photographie Lehnert & Landrock (Ausschnitt) (Source: Michel Dixmier et Henri Viltard ed.: Jossot Caricatures, Paris 2010
Es fällt schwer, die weiteren Volten, die darin bestehen, dass der Sufi-Orden der Alawyyia, in deren Schoß Jossot den aggressiven Triebgrund seiner Grafik zu exorzieren suchte, sich heute gezwungen sieht, in einer Pressemitteilung jenen militanten Islamismus zu verdammen, der sich auf Grund ihrer Kampfgrafiken zu einem Massaker an Jossots Jüngern in Paris herausgefordert sah und dass im gleichen Zug der Priester Jorge Bergolio, der sich Papst Franziskus nennt, seine Sympathie für den verdammten Schlag in die Fresse entdeckt, nicht wiederum für wunderschön zu halten. Dieser erneute Zusammenhang zwischen ästhetischem Genuss und Terrorakt kündigt diesmal aber wohl keine neue künstlerische Moderne an, eher den endgültigen und ungekünstelten Abgang der Nachmoderne.
Roland Topor: Poing dans la Gueule (Das Titelblatt für “Hara-Kiri” führte 1961 zum ersten Verbot des Magazins)