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Zu Luis Camnitzers Radierzyklen, insbesondere “Agent Orange “(1983-84 )

Ende der sechziger Jahre gründete der im amerikanischen Exil lebende uruguayanische Bildhauer, Grafiker und Kunstkritiker Luis Camnitzer ( geboren 1937 in Lübeck ) zusammen mit seinen Kollegen Liliana Porter und José Guillermo Castillo den New York Graphic Workshop. Ziel dieser Unternehmung war es, der künstlerischen Druckgraphik durch die Erprobung neuer demokratischer Distributionsformen den Nimbus des Elitären auszutreiben. Entscheidend für diesen Impuls war vor allem das Vorbild der frühen lateinamerikanischen Revolutionsgrafik, aus der Camnitzer für die weitere Entwicklung seiner Kunst sowohl im installativen als auch im grafischen Sektor Wesentliches abgeleitet hat.

Sein Entwicklungsgang führte ihn von der Verarbeitung spätexpressionistischer figurativer Einflüsse in den frühen sechziger Jahren über politisches Cartooning und streng konzeptuelle Arbeiten in den siebziger Jahren hin zu der ganz eigentümlichen Bildsprache seiner späten räumlichen Installationen und druckgrafischen Zyklen. Deren starke suggestive Wirkung resultiert nicht zuletzt aus einem schroffen Kontrast zwischen einer quasi surrealen Bild- und Textkombinatorik von halluzinatorischer Schönheit und deren Rückbindung an einen deprimierenden katastrophischen Kontext, der akribisch und faktenreich recherchiert wird.

Camnitzers spätes druckgraphisches Werk gliedert sich in drei grosse, sich überlappende Themen: unmittelbare physische Gewalteinwirkung ( in dem von 1983-84 entstandenen Zyklus „Uruguayan Torture Series“), mittelbare Gewalteinwirkung durch toxische Unterminierung der Physis (in der von 1984-1987 entstandene Serie „Agent Orange“), subtile Gewalteinwirkung von ubiquitärer Dimension durch voll ständige und permanente Bloßstellung ( die grosse Vanitas- Serie „Totentanz“, die 1993 als Hommage an das Werk des mexikanischen Bleischneiders José Guadalupe Posada begonnen wurde.) Der Titel der 43-teiligen Serie „Agent Orange“, die hier komplett und in chronologischer Folge gezeigt wird, nimmt Bezug auf das Drama, das mit dem gleichnamigen dioxinhaltigen Pestizid verbunden war, das während des Vietnamkriegs als Entlaubungsmittel eingesetzt worden war. Die vietnamesische Be- völkerung sollte durch dessen Einsatz ihrer urwäldlichen Bedeckung entblösst und damit einem gewaltsamen militärischen Zugriff schutzlos ausgeliefert werden. Jahre nach Beendigung des Krieges geriet Agent Orange in den Verdacht, fötale Missbildungen hervorgerufen zu haben. Der manipulatorische Zugriff auf die Natur hatte damit eine ungeahnte genetische Tiefendimensionen erreicht.

Im Zuge der langwierigen Arbeit an den grafischen Zyklen fand eine allmähliche Verfeinerung seiner Technik der Fotoradierung statt. Während die Blätter der beiden ersten Folgen verfremdete Fotografien zur Grundlage hatten, ist er bei der letzten „Totentanz“-Serie dazu übergegangen, die Objekte der Darstellung direkt über einen Scanner abzulichten und sie damit einer letzten, durch die Folie der fotografischen Abbildung gewährleisteten Intimität zu berauben. Luis Camnitzer hat dem MePri dankenswerterweise einen eigens überarbeiteten Text zu den Details seiner Druckmethode zur Veröffentlichung überlassen. Es handelt sich dabei um eine Arbeitsanleitung, deren Zurverfügungstellung sein Credo von der künstlerischen Druckgrafik als demokratisches Medium unterstreicht.

In einem weiteren Text „Print making : A Colony of the Arts“, der hier seine Erstveröffentlichung erfährt, unterzieht Camnitzer das Feld der künstlerischen Druckgrafik einer kritischen Analyse und erweist sich in den Schlüssen, die er für sich daraus zieht nicht nur als ein originärer zeitgenössischer Exponent einer lateinamerikanischer Traditionslinie, auch die Standortbestimmungen der revolutionären Presse eines William Blake, so wie die Begründungen der politischen Private Press durch William James Linton und die von vielen inneren Widersprüchlichkeiten gekennzeichneten Konflikte der auf Blake und Linton aufbauenden Arts & Craft-Bewegung mit ihrem artifiziellen Clone namens Art Noveau liegen hier nicht fern.

Luis Camnitzer, Agent Orange, 1983-84 (43 Photoetchings, 75 x 56 cm)

 

In den Beständen des MePri
von Luis Camnitzer:

aus der Serie „Agent Orange“ :
The code remained unbroken, 1984 – 87 (Photogravur, 75 x 56 cm, Auflage: 15)
3 Blätter aus der Serie „Totentanz“, 1993 (Photogravuren, 75 x 55 cm, Auflage : 30)

Zu Luis Camnitzer:
Luis Camnitzer: The New Art of Cuba, Austin 1994
Luis Camnitzer – Zanoobia, hrsg. Galerie Basta,
Text : Wolfgang Becker, Hamburg 1995 (Katalog)
Luis Camnitzer. Werke von 1966 bis 2003,
hrsg. Dirk Luckow, Kiel 2003 ( Katalog )
TGP ( Taller de Grafica Popular). Ein Grafikerkollektiv in Mexico von 1937 – 1977, Helga Prignitz, Berlin, 1981
The Works of / Das Werk von Jose Guadalupe Posada, hrsg. Hannes Jähn , Frankfurt 1976
Journalism versus Art, Max Eastman ,New York, 1916
A Treasury of American Prints, Thomas Craven ed., New York 1939
William Gropper: Retrospective , ed. August L. Freundlich, Miami 1968
Diverse Ausgaben der marxistischen Zeitschrift New Masses : 1932, 1934, 1940, 1947
(Mitarbeiter u.a. Ben Shahn, William Gropper, Rockwell Kent, Taller Grafica Popular, William Carlos Williams, Otto Slogow )