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Das verzeichnete Fremde (Auf-) Zeichnen, 1800-1900

Zeichnen sei „allgemeine Menschensache“, befand der Schweizer Reformpädagoge Johann Heinrich Pestalozzi im Jahre 1800.1 Die Maxime ist Behauptung und Vision in einem. Pestalozzi erhebt das Zeichnen in den Rang einer anthropologischen Grundtatsache, die jeder ethnischen, kulturellen, sozialen und
professionellen Ausdifferenzierung vorgelagert sein soll. Die hier proklamierte Egalisierung und Uni
versalisierung des Zeichnens bedeutete vor dem Hintergrund der europäischen Tradition zugleich eine subtile Lösung vom vorherrschenden Kunstparadigma, in welches das Zeichnen seit der Etablierung der
Disegno-Theorie in der Renaissance eingebettet gewesen war. Dieser privilegierte Status des Zeichnens
als gemeinsame Basis der bildenden Künste war nicht nur den auf die Abgrenzung vom Handwerklichen bedachten Künstlern zugute gekommen, sondern hatte dem Zeichnen auch im kulturellen Repertoire der europäischen Oberschichten einen festen Platz gesichert. Zeichnerische Artikulationsfähigkeit gehörte zu jenen Kulturtechniken, deren Beherrschung von Angehörigen der adligen und bürgerlichen Führungseliten erwartet wurde. Durch Lehrbücher, Zeichenlehrer und private Zeichenschulen wurden die Methoden der akademischen Kunstpraxis im Ausbildungsgang und Lebensstil der Oberschichten verankert. Theorie und Praxis des Laien-Zeichnens unterschieden sich zwar hinsichtlich ihrer Anforderungsprofile, nicht aber in bezug auf den übergeordneten ästhetischen Kategorienapparat und seine
„Wahrheitsregeln“ von der professionellen Künstlerzeichnung. ….

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