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Wie sie wirkten. Eine kurze Auswahl von Drucken aus der “History of Press Graphics. 1819-1921”

Was hier unter der Flagge der Karikatur segelt ist nichts anderes als die frühe Form eines schonungslosen Sozialrealismus, anklagend und offensiv. Die Figurengruppe macht einen kraftvollen und monumentalen Eindruck, Elend im historienbildartigen Zuschnitt, und genau so war es gemeint. Der Verleger von La Caricature Charles Philipon kam, wie die meisten seiner Zeichner aus der Schule der napoleonischen Historienmalerei und propagierte Pressegrafik als eine kritische und beschleunigte Form der Historienkunst.

Um der Bedeutung einer solchen Grafik gerecht zu werden, müsste man sie im Louvre neben Courbets „Begräbnis von Ornans“ aufhängen, das Programmbild des Realismus, das allerdings erst ca. 20 Jahre später entstanden ist. Möglicherweise kannte der Zeichner Travies Beispiele des barocken Sozialrealismus der Brüder Le Nain, doch dieser neue Miserabilismus stand im  Dienst einer politischen Kampagne gestellt, die auf die Dauer die Grundfeste der Julimonarchie erschüttern sollte. Selbstverständlich wurde die Ausgabe verboten, wie viele weitere Ausgaben von La Caricature.

Für diese einprägsame typografische Birne war Philipon nicht nur als Verleger, sondern auch als Autor verantwortlich. Birne meinte umgangssprachlich einen Schwachkopf. Im Verlauf seiner Kampagne gegen den Bürgerkönig Louis Philippe gelang es Philipon diese Frucht durch eine Reihe von Karikaturen und einen aufsehenerregenden Gerichtsprozess als Symbol für den Bürgerkönig Louis Philippe und dessen marode Regierung durchzusetzen. Eine Zeit lang war sie als Graffiti allgegenwärtig, nicht nur an den Pariser Hauswänden, sondern auch in der Provinz.

Die typografische Umsetzung ist auch ein frühes Beispiel dafür, wie die Bildverbote der Vorzensur zu abenteuerliche, abstrahierte Bildfindungen provozieren konnten.

Eine Seite aus der vielteiligen Reisereportage „Graphic America“ des Zeichners und Genremalers Arthur Boyd-Houghton, die über einen Zeitraum von fast drei Jahren in der britischen Illustrierten The Graphic erschien, interessant nicht nur wegen des außergewöhnlichen Stils des angloindischen Künstlers, der zwischen Dokumentarismus und  beißender Groteske changiert, sondern auch hinsichtlich der druckgrafischen Übersetzung.

Wie im Fall von La Caricature spielen auch hier die Überlegungen eines künstlerischen Verlegers eine entscheidende Rolle. William Luson Thomas, der Gründer des The Graphic, war ein Schüler des Graveurs und Xylografiehistorikers William James Linton, der eine expressiven grafischen Zugriff propagierte. In Zeiten fotomechanischer Reproduktion und zunehmender Arbeitsteiligkeit forcierte Luson Thomas eine explizite Handschriftlichkeit, indem er seine Künstler dazu ermutigte, direkt auf die Druckstöcke zu zeichnen.

Vincent van Gogh, ein passionierter Sammler dieses Magazins, war nicht nur von Boyd Houghtons goyaneskem Stil beeindruckt, sondern auch von dem entfesselten xylografischen Lineament, das er in seinen eigenen Malereien in dem vergrößertem Maßstab imitierte, der sich ihm beim Blick durch die Lupe zeigte.

„Special artist“ Melton Prior berichtete von 24 Kolonialkriegen. Über die Jahre bildete der chauvinistisch gesinnte englische Reporter dabei einen dynamischen, skizzenhaften Stil aus, der die Möglichkeiten der Schnellkamera, Aktion festzuhalten, antizipierte. Priors Ethos der Authentizität brachte es mit sich, dass die Inhalte einiger seiner Zeichnungen ungewollt Kolonialkritikern in die Hände spielten, so auch diese Darstellung der Kampfhandlungen zwischen britischen Truppen und Anhängern des islamistischen Mahdi, der die britische Soldaten beim Bajonettieren verwundeter Mahdisten in den Schützengräben zeigt. Priors Zeichnung führte im britischen Parlament zu einer heftigen Debatte.

John Heartfield und Sergei Eisenstein sind als Protagonisten der kritischen Montage in die Kunst- und Filmgeschichte eingegangen, aber ihren Vorläufer L.L. Roush kennt heute keiner mehr. Dabei waren seine doppelseitigen Montagen für die amerikanischen Illustriert Leslie´s Weekly und Joseph Pulitzer’s New York World eine Zeit lang durchaus populär. Die einprägsame Darstellung einer Zweiklassengesellschaft an Bord eines Luxusdampfers wurde auch in einer auflagenstarken europäischen Illustrierten abgedruckt.

Mit seinem wöchentlichen Satiremagazin L’Assiette au Beurre bot der Verleger Samuel-Sigismond Schwarz  den Pariser Illustratoren, darunter viele Künstler der avantgardistischen Montmartre-Szene, ein einmaliges Experimentierfeld und eine immense Plattform zur Verbreitung ihrer anarchistischen Ansichten. Viele Ausgaben waren Autorenhefte, die außer den Bildunterschriften keine weiteren Texte enthielten. Es fällt schwer sich zu vergegenwärtigen, dass solche radikalen Künstlerproduktionen – hier ein Beispiel des Illustrators und späteren Mitbegründers der abstrakten Malerei František Kupka – in Riesenauflagen von 40 000 bis 250 000 Exemplaren gedruckt wurden und international einflussreich waren, in Nordamerika genauso wie in Russland und der islamischen Welt.

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